Die Filmstarts-Kritik zu Punch-Drunk Love (2024)

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Punch-Drunk Love

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

4,0

stark

Punch-Drunk Love

Von Carsten Baumgardt

Die Gegensätze könnten größer nicht sein. Ein Film von Regie-Virtuose Paul Thomas Anderson mit Tiefflug-Komiker Adam Sandler, dem Schrecken aller Kritiker? Wie passt das zusammen? Allen Befürchtungen zum Trotz: sehr gut. Andersons skurril-schräge Liebesgeschichte „Punk-Drunk Love“ ist ambitioniert und komisch, traurig und heiter zugleich. Und Überraschung: Sandler kann tatsächlich ernsthaft schauspielern, wenn ihn der richtige Regisseur unter seine Fittiche nimmt.

Irgendwo im Großraum Los Angeles: Der schüchterne Barry Egan (Adam Sandler) leitet eine kleine Firma, die in einer Lagerhalle im San Fernando Valley untergekommen ist. Seine sieben Schwestern machen dem Simpel das Leben nicht gerade leicht. Wenn eine nach der anderen innerhalb weniger Minuten anruft, um sicher zu gehen, dass Barry bei einer Party erscheint, wird deutlich, warum er so furchtbar verkrampft und zurückhaltend ist. Selbst als er bei einer Telefonsexhotline anruft, redet er lieber über Nebensächlichkeiten als über die eigentliche Sache. Dummerweise gibt er sämtliche persönliche Daten preis, was in einem kruden Erpressungsversuch mündet, der Barry an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treibt. Da ist es verständlich, dass sich seine aufgestauten Aggressionen dann und wann entladen. So zertrümmert er bei der Party vor lauter Wut einen Spiegel oder zerlegt später eine Restauranttoilette in ihre Einzelteile als er mit der ebenfalls scheuen Lena (Emily Watson), in die sich Barry verliebt hat, ausgeht...

Mit nur zwei Filmen hat sich der Amerikaner Paul Thomas Anderson als absoluter Kritikerliebling und bester Regisseur seiner Generation etabliert. Das mitreißende Porno-Drama „Boogie Nights“ und das tieftraurige, pessimistische, aber brillante L.A.- Panoptikum „Magnolia“ führten Anderson an die Spitze der kreativen Kunst. Grandiose Dialoge, superbe Schauspieler und ein begeisternder Inszenierungsstil zeichnen beide Filme gleichermaßen aus. Für sein neuestes Werk macht Anderson auf den ersten Blick einen Schritt zurück, weg vom dreistündigen, zugegeben anstrengenden Mammutwerk „Magnolia“ hin zu 95 Minuten vordergründiger Leichtigkeit einer Liebesgeschichte. Doch natürlich ist bei Anderson nichts so, wie es die Genrekonventionen Hollywoods vorschreiben. Er serviert stattdessen von allem die höchstmögliche Dosis. „Punch-Drunk Love“ ist sehr skurril, sehr schräg, sehr komisch, sehr traurig, sehr berührend ... sehr menschlich - und dabei beinahe schon surreal.

Die Figuren leben in ihrer eigenen, kleinen Welt. Eine Kostprobe? Eine menschenleere Straße in einem Industriegebiet. Stille. Kein Laut. Dann ein infernalischer Knall, ein heranrasendes Auto überschlägt sich mehrfach und zerschellt auf dem Asphalt. Schnitt. Wieder Stille. Ein Auto hält, ein Mann setzt ein Harmonium aus, verschwindet wieder. Barry beobachtet alles. Immer noch Stille. War der Unfall doch nur Einbildung? Nein! Auf einmal ist die Straße mit Resten des zerborstenen Wagens übersät. Nach einigem Zögern schnappt sich Barry das Instrument und hievt es in sein Lagerhallenbüro. Diese Szene ist bezeichnend für „Punch-Drunk Love“. Eine absolut faszinierende Sequenz, die das unglaubliche Talent Andersons dokumentiert.

Doch das ist nichts Neues. Neu ist dagegen die Erkenntnis, dass Adam Sandler („Big Daddy“, „Mr. Deeds", Happy Gilmore“) ein guter Schauspieler sein kann. Er muss sich gar nicht einmal zu sehr verstellen. Die Figur des Barry macht dort weiter, wo Sandlers übliche eindimensionale Charaktere aufhören. Auf der Suche nach der großen Liebe darf der Komiker auch weiterhin seine Wutausbrüche pflegen, wirkt dabei aber tragisch und komisch zugleich, weil sein Filmcharakter exzellent ausbalanciert und mit der nötigen Tiefe versehen ist. Sandler scheitert nicht an der große Aufgabe, in einem Anderson-Film zu bestehen, fährt sein Minenspiel auf ein Minimum zurück und überzeugt mit leisen Zwischentönen, die ihm keiner zugetraut hätte. Bester Beweis für seine schauspielerische Reife ist der verbale Höhepunkt von „Punch-Drunk Love“. Als Sandler sich ein wüst-famoses Hasstiradenduell mit dem Mattress-Man liefert, ist er dem großartigen Philip Seymour Hoffman („Almost Famous", „Magnolia“, „Boogie Nights“) keineswegs unterlegen. Emily Watson („Gosford Park", „Roter Drache") erfüllt ihre engelsgleiche Rolle als sanfte Fee ebenfalls bravourös.

Obwohl nur 95 Minuten lang, schöpft Anderson wieder aus dem vollen kreativen Ideenpool. So entdeckt Barry einen logischen Fehler bei einem Gewinnspiel eines Puddingherstellers und sichert sich über eine Million Bonusflugmeilen, die ihn nach Hawaii zu seiner Liebe Lena bringen sollen. „Punch-Drunk Love” ist ein erfrischender Beweis dafür, dass Hollywood-Kino nicht nur aus Klischees und Ideenlosigkeit bestehen muss. Das hat allerdings auch zur Folge, dass das 25 Millionen Dollar teure Werk nicht für Jedermann zugänglich ist. Das Mainstream-Publikum ist hier sicherlich im falschen Film. Der Zuschauer muss sich schon auf die sonderbare Welt des Paul Thomas Anderson einlassen, sonst funktioniert „Punch-Drunk Love“ als Unterhaltung partout nicht.

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